Kilian Marti
Newcomer-Preis
Kilian Marti, 25, ist im Glarnerland aufgewachsen. Er startete als 13-Jähriger im Journalismus mit Strassenumfragen für eine regionale Wochenzeitung. Nach der KV-Lehre bei der «Südostschweiz» folgten journalistische Stationen unter anderem bei den «Obersee Nachrichten» und «Nau» sowie einem Abstecher in die Finanzbranche als Berater. Seit September 2022 ist er als Reporter für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bei Watson tätig.
laudatio
von Doris Kleck
Der Versicherungskonzern Baloise hat ein mässiges 2023 hinter sich. Der Gewinn vor Abschreibungen und Steuern lag mit 344 Millionen Franken unter den Erwartungen der Analysten. Die Aktionäre können sich trotzdem freuen: Die Dividende wird um 30 Rappen erhöht auf 7.70 Franken. Die letzten bekannten Geschäftszahlen des Generalunternehmens Steiner AG stammen aus dem Geschäftsjahr 2021/2022. Der operative Gewinn lag bei knapp 50 Millionen Franken.
Schlosser Roger Nägeli wirtschaftet in anderen, kleineren Dimensionen. Sein Familienbetrieb zählt zehn Angestellte. Ende letzten Jahres schuldete ihm der Generalunternehmer Steiner 250 000 Franken für abgeschlossene Arbeiten im Baloise Park. Steiner will nicht bezahlen: Das Bauunternehmen befindet sich mit der Bauherrin Baloise seit 2020 in einem unerbittlichen Rechtsstreit. Es geht um den Baloise Park. Ein Prestigebau beim Bahnhof Basel. 89 Meter hoch. Kostenpunkt: 250 Millionen Franken. Die geschuldeten 250 000 Franken sind ein Bruchteil davon, für die Baloise und die Steiner AG ein Klacks, für Roger Nägeli ist das Ausbleiben dieser Zahlung aber existenzbedrohend.
Wir kennen seine Geschichte dank Kilian Marti. In seinem Artikel, erschienen bei Watson, beschreibt Marti, wie fünf KMUs und ihre Mitarbeitenden einen hohen Preis für die Streitigkeiten zwischen Baloise und Steiner bezahlen. «Die Letzten beissen die Hunde», heisst es im Titel. Das Konkursamt Basel bestätigt diesen Satz quasi amtlich: «Prozesse um Werklohnforderungen aus Bauaufträgen sind teuer und langwierig. Es gibt Unternehmen, die diesen Umstand gegenüber schwächeren Marktteilnehmern ausnützen.» Die Schwächeren, das sind Subunternehmer wie Schlosser Nägeli.
Kilian Marti hätte auch schreiben können: Die Schwächsten beissen die Hunde. Die Handwerker haben weder die Macht noch das Geld, in diesem juristischen Streit gross mitzumischen – doch zum Glück gibt es Journalisten wie Kilian Marti, die hinsehen und hinhören. Die Missstände erkennen und benennen. Die Betroffene suchen und ihnen eine Stimme geben. Die komplexe Sachverhalte begreifen und verständlich niederschreiben. Schlosser Nägeli ist kein Einzelschicksal, das Problem ist systemisch. Amtlich bestätigt und selbst von Baloise und Steiner nicht bestritten. Aktuell zankt sich die Branche denn auch um neue Modelle der Zusammenarbeit. Dass den Letzten und Schwächsten nicht mehr die Hunde beissen.
Marti zeigt exemplarisch, wie Handwerksbetriebe vor dem Ruin stehen können, wenn Grossunternehmen aufs Ganze gehen. Die Recherche hat in Basel für einigen Wirbel gesorgt. Und die «Rundschau» des Schweizer Fernsehens SRF hat die Geschichte von Schlosser Nägeli ebenfalls aufgenommen. Wir gratulieren Kilian Marti herzlich.
Den Letzten beissen die Hunde: Ein Basler Grossprojekt treibt mehrere KMUs in den Konkurs
Der Baloise Park ist ein Prestigeprojekt, das seinesgleichen sucht. Doch um den Bau ist ein heftiger Streit entbrannt: Grosskonzerne streiten um Millionen – und KMUs stehen vor dem Aus. Eine Geschichte über einen Bau, der schon von Anfang an unter keinem guten Stern stand.
Erschienen am 8. Dezember 2023
Von Kilian Marti
Auf dem Weg zum Firmensitz der Schlosserei Nägelin im aargauischen Kaiseraugst sieht man in der Ferne die Hochhäuser Basels emporragen. Tagtäglich hat Roger Nägelin vor Augen, was ihn die Zukunft seiner Firma kosten wird, wenn nicht noch ein Wunder geschieht: der Baloise Park.
Für Roger und Jérôme Nägelin, Vater und Sohn, endet dieses Jahr düster. Nach fast acht Jahren wird ihr Familienbetrieb Ende Monat die Türen vermutlich für immer schliessen müssen. «Wir haben bis zum Schluss gehofft, dass es noch anders kommt, doch nun sieht es so aus, als müssten wir alle unsere zehn Mitarbeitenden entlassen», sagt der Firmengründer. Der Schmerz darüber steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. «Und das alles wegen einer einzigen Baustelle.»
Die Baustelle, die Nägelin in den Ruin treibt, steht am Aeschengraben, beste Lage, einen Steinwurf vom Basler Hauptbahnhof entfernt. Doch rund um das Prestigeprojekt fliegen längst nicht nur Steine – es tobt ein heftiger Millionen-Streit. Auf der einen Seite: die Bauherrin, der Versicherungskonzern Baloise. Auf der anderen Seite zwei Generalunternehmungen: die Steiner AG und die Porr Suisse AG. Und ganz am Ende der Nahrungskette Kleinbetriebe wie die Schlosserei Nägelin. Oder die Dachdeckerfirma von Jimmy Musliaj, die GM Crafts GmbH.
Insgesamt sind mindestens fünf KMUs betroffen, mit denen Watson Kontakt hatte. Über 40 Personen haben ihren Job verloren – die Zahl ist nicht abschliessend.
Superprojekt Baloise Park
Der Baloise Park ist das jüngste Prestigeprojekt des Versicherungskonzerns Baloise. Drei Gebäude sind auf dem Areal nördlich des Basler Bahnhofs entstanden. Darunter der 34 Meter hohe Hauptsitz des Versicherers, der von den namhaften Architekten Diener und Diener entworfen wurde. Dazu kommt ein 42 Meter hohes Bauwerk des Stararchitekten Valerio Olgiati, das als Ausbildungszentrum dient. Das höchste Gebäude im Baloise Park ist das 89 Meter hohe Baloise Hochhaus des renommierten Architekturbüros Miller und Maranta, welches grösstenteils von Mövenpick als Hotel genutzt wird. 2014 budgetierte die Baloise Kosten von einer Viertelmilliarde Franken für den Bau, die Roger Zeier Bauökonomie schätzt die Kosten aber auf über 350 Millionen Franken.
Eine Handvoll KMUs, dutzende Schicksale
Roger Nägelin hätte nie gedacht, dass ihn der Auftrag für den Baloise Park in den Ruin treiben könnte, als er im Jahr 2019 einen ersten Auftrag für Montagearbeiten am Baloise Hochhaus annahm. 80’000 Franken war der Auftrag wert, den er mit der Steiner AG abschloss. Es folgten diverse Folgeaufträge. Gesamtvolumen: 2 Millionen Franken.
Alles lief reibungslos, die Rechnungen wurden von der Steiner AG stets bezahlt. Doch nach der letzten Montagearbeit war plötzlich alles anders. «Obwohl die Steiner AG uns ein unterschriebenes Abrechnungsbordereau erstellte, was bedeutete, dass wir keine Mängel mehr zu beheben haben, wurden die Zahlungen eingestellt», sagt Roger Nägelin. 250’000 Franken sind heute noch offen, die Nägelin einfordert – inklusive laufender Gerichts- und Anwaltskosten. Für ein Kleinunternehmen mit 10 Mitarbeitenden viel Geld: «Es war unsere gesamte Liquidität. Wir mussten einen hohen Kontokorrentkredit aufnehmen, um nicht sofort Konkurs zu gehen», sagt Nägelin.
Bereits in Konkurs gegangen ist die Dachdeckerfirma von Jimmy Musliaj. Seine GM Crafts GmbH war ebenfalls am Bau des Baloise Parks beteiligt, die Aufträge erhielt er von der Porr Suisse AG. «Ich stehe vor einem Scherbenhaufen», sagt Musliaj, als watson ihn in einem Café in Basel trifft.
Musliaj erlebte Ähnliches wie Nägelin: Zunächst wurden die Akonto-Rechnungen bezahlt, als er mit seinen Arbeiten fertig war, stoppte die Porr Suisse AG die Zahlungen. Seitdem streitet er mit dem Generalunternehmen um 200’000 Franken. Die Chancen, jemals Geld zu erhalten, stehen schlecht: «Nach der Insolvenzanmeldung stellte die Porr Suisse eine Gegenforderung, die weit über 200’000 Franken liegt – wegen Mängeln an meiner Arbeit», sagt der Chef der Dachdeckerfirma. Musilaj versichert, dass er seine Arbeit sauber ausgeführt habe. Stutzig macht ihn vor allem der Zeitpunkt der Gegenforderung: «Über ein Jahr nach meinem letzten Arbeitstag auf der Baustelle und wenige Tage nach der Konkursanmeldung kam diese Gegenforderung der Porr Suisse AG.» Mittlerweile liegt sein Fall in den Händen des Konkursamtes Basel-Stadt.
Ob der Auftrag nun von der Porr Suisse AG oder der Steiner AG kam – das Chaos begann bei allen Subunternehmern, mit denen watson gesprochen hat, gleich: Nach der letzten Arbeit auf der Baustelle wurden die Zahlungen von den Generalunternehmen eingestellt. Eine am Bau des Baloise Parks beteiligte Schreinerei, die mittlerweile in Insolvenz ist, sagte gegenüber watson: «Wir hatten lange auf die restlichen 150’000 Franken gehofft, doch irgendwann ging es nicht mehr. Unsere letzte Chance ist nun das Konkursamt Basel-Stadt. Für mich ist klar, dass da Spielchen getrieben wurden.»
Das Konkursamt Basel-Stadt will sich zu den konkreten Fällen nicht äussern. Doch es gibt einen Einblick, was für Kleinbetriebe auf Grossbaustellen gefährlich werden kann. Auf Anfrage von watson schreibt das Konkursamt: «Gerade bei komplexen Grossbaustellen ist es oft objektiv schwierig, Ursachen und Verantwortlichkeiten von Schäden oder Kostenüberschreitungen festzustellen. Nach unserer Wahrnehmung ist in der Baubranche allgemein bekannt, dass Prozesse um Werklohnforderungen aus Bauaufträgen teuer und langwierig sind und dass es Unternehmen gibt, die diesen Umstand gegenüber schwächeren Marktteilnehmern ausnutzen. Wenn ein Projekt nicht rundläuft und Mehrkosten oder Schäden entstanden sind, ist es naheliegend, bei Subunternehmern Abzüge vorzunehmen, ob berechtigt oder nicht.»
Im vorliegenden Fall heisst das: Den Letzten beissen die Hunde.
Streit zwischen Grosskonzernen eskaliert
Als die letzten Kleinunternehmer gebissen und zerfleischt wurden, lagen die Bauherrin und die beiden Generalunternehmungen längst in einem erbitterten Streit. Das wurde spätestens bei der Eröffnungsfeier offensichtlich. Öffentlich bezeichnete der damalige Baloise-Verwaltungsratspräsident, Andreas Burckhardt, die Arbeiten der Steiner AG und der Porr Suisse AG als «eine Sauerei». Als Grund dafür nannte er gegenüber der «Basler Zeitung» Bauverzögerungen. Der Streit zwischen den drei Grosskonzernen eskalierte immer heftiger, die juristische Aufarbeitung wird Jahre dauern.
Doch was ist konkret vorgefallen? watson konnte mit einer Person sprechen, die beim Bau des Baloise Parks einen tiefen Einblick in die Geschehnisse hatte. «Das Projekt des Baloise Hochhauses hat seit Tag eins gestunken», sagt die Person. Das Budget für den Prestigebau mit dem Mövenpick Hotel sei von Anfang an zu knapp bemessen gewesen, ein Generalunternehmen habe sich kaum finden lassen. «Seit dem ersten Tag wurde versucht, die Kosten zu drücken», sagt der Informant.
Als dann auch noch die Coronapandemie die Welt überrollte, seien der Steiner AG durch die Behörden laufend neue Auflagen gemacht und durch die Bauherrin Mängel vorgeschoben worden. «Das Hotel wäre in der Anfangsphase der Coronapandemie fertig geworden – das wäre für die Eröffnung ein Chaos gewesen», so der Informant, der die Vorgänge als absichtliche Verzögerungstaktik durch die Bauherrin einstuft. Die Baloise wollte sich zu den Vorwürfen nicht äussern.
Klar ist: Das Verhältnis zwischen Bauherrin und Generalunternehmer war da bereits massiv zerrüttet. Heute würden zwischen den Konfliktparteien nur noch Gegenforderungen hochgetrieben, über die das Gericht entscheiden muss. «Kleinfirmen, die am Bau beteiligt waren, werden in diesen Mühlen einfach zerrieben. Sie haben keine Chance mehr, an ihr Geld zu kommen», sagt die Person. «Wer sich die besten Anwälte leisten kann, hat die grössten Chancen.» Den Letzten beißen die Hunde.
Grosskonzern bedauert Insolvenzen
Dass einiges aus dem Ruder lief, bestätigt die Steiner AG. Über ihre Kommunikationsagentur teilt sie watson mit, dass der Baufortschritt einerseits wegen der Coronapandemie durch «etliche behördlich verfügte Einschränkungen deutlich abgebremst» wurde. Andererseits hätte «während Corona kein Hotelbetreiber ein Interesse daran gehabt, ein Stadthotel zu eröffnen». Besonders hart ins Gericht geht die Steiner AG mit der Bauherrin Baloise. Diese habe «trotz Bezugsbewilligung durch das Bau- und Gastgewerbeinspektorat des Kantons bis heute eine Abnahme und die Zahlungen verweigert». watson liegt das Dokument vor. «Die Bauherrin hat behauptet, es lägen wesentliche Mängel vor. Die Steiner AG bestreitet dies mit Nachdruck. Bei wesentlichen Mängeln wäre keine Bezugsbewilligung erteilt worden», schreibt die Generalunternehmung weiter. Gleichzeitig habe die Steiner AG «zur Wahrung ihrer rechtlichen Interessen, die Mängel an die erstellenden Handwerker weiterreichen müssen». Zu den offenen Rechnungen bei den eigenen Subunternehmen, wie etwa der Schlosserei Nägelin, schreibt die Steiner AG: «Das treuwidrige Vorgehen der Bauherrin Baloise hat die Vertragsabwicklung mit den Subunternehmern stark erschwert. Obwohl ein wesentlicher Teil der Werklohnforderung von der Bauherrin unbezahlt geblieben ist, hat die Steiner AG mit fast allen Subunternehmern eine Einigung zum Abschluss und zur Schlussrechnung des Werkvertrages gefunden und die Rechnungen der Subunternehmer bezahlt. Es waren über 120 Subunternehmer am Bau beteiligt. Unbereinigt sind zum heutigen Stand eine Handvoll.»
Das sind etwa eine Dachdeckerfirma. Oder eine Schlosserei. Firmen, die die letzten Arbeiten vor dem Einzug verrichteten. Die Letzten bissen die Hunde. Die Steiner AG hofft, dass sich noch eine Lösung findet für die Firmen. Die Verantwortung schiebt sie der Bauherrin zu. «Die Steiner AG bedauert dies sehr und hofft, dass die Baloise zeitnah ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen wird.» Nicht zu den Vorwürfen äussern möchte sich die Porr Suisse AG, sie schreibt: «Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir uns zu laufenden Gerichtsverfahren nicht äussern.» Ebenfalls deutlich zurückhaltend antwortet die Baloise, die auf neun eingereichte Fragen schreibt: «Wir sind daran, die noch offenen Punkte des Projekts Baloise Park mit unseren Partnern abzuarbeiten. Über Details dazu können wir keine Auskunft geben.»
Der Silberstreifen am Horizont
So komplex der Sachverhalt zwischen den Grossunternehmen scheint, so einfach ist für Roger Nägelin und seine Schlosserei, was nun folgen wird: «Wir werden trotz sich anbahnender Insolvenz weiter um das Geld kämpfen, das uns zusteht.» Auch wenn die Gegenseite viel mehr Macht und Anwälte habe. «Aber von der Baubranche werden wir künftig die Finger lassen und uns auf Produktinnovationen fokussieren.»
Nägelin hat mit einem Partnerbetrieb seit einigen Monaten ein Nebenprojekt gestartet. «Wir bauen kleine Windturbinen für
Einfamilienhäuser und die Industrie. Damit bald jeder in der Schweiz ein Windrad privat bei sich zu Hause installieren kann, um saubere erneuerbare Energie zu produzieren.» Dafür haben sie bereits einen Preis der Klimastiftung Schweiz gewonnen und sie durften das Projekt einem Regionalspital vorstellen. «Es geht langsam voran, uns fehlt offensichtlich das Geld, aber wir hoffen, dass das unsere Zukunft sein wird», sagt Nägelin. Für den Familienbetrieb ist das ein Silberstreifen am Horizont, nachdem der Baloise Park ihnen die Zukunft der Schlosserei genommen hat.