Martin Stoll
Preis für das Gesamtwerk
Martin Stoll, geboren 1962, wuchs in Boppelsen (ZH) und Brugg (AG) auf. Nach der Wirtschaftsmatura arbeitete er als Redaktor bei einer Aargauer Wochenzeitung. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er am MAZ in Luzern, danach wechselte er zum «Tages-Anzeiger». Während 32 Jahren arbeitete er für den Tamedia-Verlag, unter anderem bei «Facts» und der «SonntagsZeitung», wo er das Recherchedesk leitete. Mit seinen Recherchen stiess er politische Untersuchungen an, etwa zu einer geheimen Verbindung des Schweizer Geheimdienstes zum Apartheidstaat Südafrika oder zu einem Datenleck im Nachrichtendienst. Er war an Enthüllungen beteiligt, die zum Rücktritt von Armeechef Roland Nef und Botschafter Carlo Jagmetti führten. Stoll wurde mehrfach ausgezeichnet, gründete 2011 Öffentlichkeitsgesetz.ch und ist Dozent am MAZ sowie Mitgründer des Schweizer Recherchenetzwerks investigativ.ch.
laudatio
von Salvador Atasoy
Es gibt in diesem Land viele hervorragende Journalistinnen und Journalisten. Immer noch. Aber nur ein paar haben das Land nachhaltig geprägt. Einer davon ist, meiner Ansicht nach, Martin Stoll.
Das Interessante daran ist, dass man diese Geschichte aus ganz verschiedenen Blickwinkeln erzählen könnte. Etwa aus der Perspektive des Schweizer Nachrichtendienstes, den Martin Stoll in den 1990er und nuller Jahren regelrecht auseinandernahm. Stichwort Südafrika.
Oder aus Sicht der Justiz, die sich teilweise über Jahrzehnte mit einem Einzigen rumärgern musste – Carla Del Ponte war damals noch Bundesanwältin und liess neben Stolls Wohnung auch gleich die Redaktion der «SonntagsZeitung» durchsuchen. Stichwort: Carlo Jagmetti, einst umstrittener Botschafter in den USA.
Oder aus Sicht unserer Landesregierung – meine liebste Perspektive. Denn hier kann man wählen, ob man die Geschichte aus Sicht des Justizministers oder des Verteidigungsministers erzählen möchte.
Der eine hatte Akten vernichten lassen, brisante Akten im Zusammenhang mit Schmuggel von Atomtechnik nach Pakistan und der Affäre Tinner. Involviert waren die CIA, Strasbourg und am Rande eben auch Christoph Blocher.
Der andere war Verteidigungsminister und der grösste Fan seines neuen Armeechefs. Der Armeechef jedoch hatte sich nicht immer unter Kontrolle, was in einem Strafverfahren wegen Stalkings und Belästigung mündete und das VBS in eine veritable Krise stürzte. Stichwort: Samuel Schmid.
Ich habe Martin Stoll 2012 kennengelernt, auf der Redaktion der «SonntagsZeitung». Was Martin da nicht wusste – ich kannte seine Geschichten auswendig.
Seine Art zu arbeiten hat mich und vermutlich eine ganze Generation geprägt. In Kursen spreche ich jeweils von den drei A nach Martin Stoll.
Die drei A stehen für: laut ankündigen, geduldig abwarten und kompromisslos aufräumen.
Das Prinzip funktioniert so:
Zuerst recherchiert man, bis man auf einen Fall stösst, den man zu Beginn völlig unterschätzt und an dessen Ende die Landesregierung über die Bücher muss. Südafrika war so. Jagmetti war so. Tinner war so. Nef war so.
Das erste A, man kündigt an.
Bei Martin Stoll sind es meist harmlose Bürokraten-Sätze wie: Uns liegt ein Dokument vor, oder: Wir hatten Einsicht in Akten.
Diese Ankündigung macht man gerne auch mit anderen, grossen Namen im Journalismus. Teamarbeit – wirkt nicht nur besser, sondern ist es auch.
Ein Beispiel:
Mitte Juli 2007 erschien der erste Artikel zur Akte Nef. Der neue oberste Chef der Armee, ein vergleichsweise junger Karriereoffizier, der unser Land im Kriegsfall führen sollte, hatte ein Strafverfahren am Hals. Stichwort: Stalking. Davon wusste der Verteidigungsminister. Aber er unterliess es, den Gesamtbundesrat zu informieren.
Was in dieser Akte genau stand, das hingegen war zu diesem Zeitpunkt unklar.
Nun zieht man das zweite A durch: abwarten – und dem immensen Druck standhalten. Es folgte eine Woche, in der sich die Medienberichterstattung nur um diese Akten drehte. Wer wusste was? Wer hat wem was gesagt? Und wer hat was wo verschwinden lassen? Die Spannung baut sich auf. Der Bundesrat will es aussitzen. Erste Medien fordern den Rücktritt des Verteidigungsministers. Und das Land fragt sich: Was ist da eigentlich genau passiert?
Nun folgt das dritte A: aufräumen.
Indem man die Karten am kommenden Sonntag auf den Tisch legt. Mit den genauen Protokollen und der Einordnung der Ereignisse. Sauber, präzise und unwiderlegbar. Alles, was bleibt, ist die harte Einsicht, dass man dem nichts, wirklich gar nichts mehr entgegenzusetzen hat.
Der Chef der Armee trat ein paar Tage später zurück.
Bundesrat Samuel Schmid jedoch – und das ist das Absurde an dieser Geschichte – sah sich als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems. Er weigerte sich zurückzutreten.
Eigentlich könnte man die Laudatio an dieser Stelle beenden. Denn viele Journalisten mit einer solchen Vita werden nun sehr laut. Sie sitzen in Talkrunden, mischen sich in die Politik ein, schreiben Bücher oder kaufen sich einen Radiosender.
Martin Stoll jedoch ist ein leiser Journalist.
2022 trat er zurück. Und widmete sich dem Verein Öffentlichkeitsgesetz.ch.
Im Team mit anderen bekannten Namen hat Martin mit diesem Verein eine Grundlage für den Journalismus geschaffen, auf der insbesondere die Recherche heute steht, indem er Dinge möglich gemacht hat, die bisher gefehlt haben. Er hat Vorgehensweisen standardisiert, Formulare für Eingaben aufgesetzt, typische Fälle öffentlich zugänglich gemacht.
Er vernetzt den Journalismus. Er schafft Transparenz und zeigt an Modellfällen und unter Einbezug der Recherchierenden auf, wie man vorgehen könnte. In Zeiten, in denen der Druck auf Medienschaffende kontinuierlich zunimmt, ein enorm wichtiger Dienst.
Er hat damit, wenn man so will, auch Transparenz und Öffentlichkeit in den Recherche-Journalismus selbst gebracht und den Journalismus nachhaltig besser gemacht.
Darum war und ist es aus meiner Sicht nie eine Frage, ob Martin Stoll für dieses Gesamtwerk geehrt werden muss. Die Frage war für mich immer nur: wann.

Von oben gebilligt
Neue Beweise: Der Bundesrat wusste von Bührles Geschäften mit dem geächteten Apartheid-Regime.
Erschienen im Facts 28/2002
Von Martin Stoll


Der spinne ganz nah
Drei Schweizer spielten bei der Enttarnung des libyschen Atomprogramms eine zentrale Rolle. Sie waren die Kundschafter der CIA.
Erschienen im Facts 29/2006
Von MARTIN STOLL
